Ricardas Umzüge: Hin und wieder zurück
Raus aus dem Elternhaus, rein ins Leben: Nach dem Abi zog es mich in die Ferne. Mit meinem Mann kehre ich jetzt aus Hamburg zurück zur Familie.
Im Juni 2010, direkt nach dem Abitur, hatte ich die Nase voll von unserem kleinen Dorf in der Nähe von Magdeburg. Mühsam gestaltete sich die Suche nach einem Ausbildungsplatz, doch schließlich bekam ich eine Zusage aus Lüneburg. Der Umzug konnte mir gar nicht schnell genug gehen: Endlich auf eigenen Beinen stehen und mein Leben selbst gestalten können! Schnell war ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft gefunden. Für neue Freundschaften hatte ich neben Haushalt und Arbeit jedoch keine Zeit. Zum Glück blieben meine Freundschaften aus Kinder- und Schultagen. Bei Besuchen in der Heimat gaben sie mir Kraft für meinen Weg und das Gefühl, nie weg gewesen zu sein.
Und noch ein Umzug!
Die Ausbildung war fertig, aber die Arbeit bereitete mir keinen Spaß. Ich musste etwas Neues suchen – und begann eine zweite Ausbildung in Hamburg. Das machte mein Leben nicht einfacher: Durch Bauarbeiten an den Gleisen fuhren die Züge permanent mit Verspätung. Täglich habe ich für den Hin- und Rückweg fast drei Stunden gebraucht. Eine Wohnung in Hamburg musste her. So zog ich erneut um, beendete die Ausbildung und begann, in einem größeren Unternehmen zu arbeiten.
Zwar hatte ich schon während meiner Ausbildungen gemerkt, dass ich immer wieder erschöpft und meine Finger hin und wieder dick und kraftlos waren. Dass diese Anzeichen eine tiefere Bedeutung bekommen sollten, konnte ich mir zu der Zeit aber nicht vorstellen. Stattdessen wollte ich Leute kennenlernen, neue Freundschaften knüpfen und mich neben der Arbeit fit halten. Schnell entschied ich, Rudern auszuprobieren, und fand einen Ruderverein. Ganz unbeholfen stellte ich mich den Leuten im Ruderverein vor und stieg in ein Boot. Ich hatte so viel Spaß an diesem Sport, dass mich der Ehrgeiz packte. Ich stieg vom Mannschaftsboot in ein Einzelboot um. „Doch wer zeigt mir, wie das funktionieren soll?“ Im Verein lernte ich Florian kennen, der sich Zeit nahm und mir erklärte, worauf ich achten musste. Immer öfter ruderten wir zusammen und lernten uns besser kennen. Oft waren wir die Ersten mit den Booten auf dem Wasser und die Letzten, die am Steg wieder anlegten. Aus einer Bekanntschaft wurde Freundschaft und schließlich Liebe.
Die Krankheit zeigt sich
Nach einigen Monaten Beziehung beschlossen wir, eine gemeinsame Wohnung zu suchen. Wir bekamen die Schlüssel und renovierten drauflos. Wir strichen die Wände, verlegten Fußböden und zu allem Überfluss bekam ich eine dicke linke Hand. Über Nacht schwollen meine Finger an, alles war warm, rot und tat weh. Bekannte schickten mich zum Rheumatologen. In der Notaufnahme der Schön Klinik bekam ich zum ersten Mal Kortison zur Linderung der Beschwerden. Die Diagnose war für mich ein Schock. „Wie soll das jetzt weitergehen?“ „Was passiert mit mir?“ Lange redeten Florian und ich über die Situation, wie wir als Paar damit umgehen sollten und ob wir das gemeinsam durchstehen würden. Zu dieser Zeit bekam ich neben Kortison mein erstes Basismedikament, und wir dachten, dass rasch alles besser würde. Dass wir uns da jedoch gewaltig getäuscht hatten, war zu dem Zeitpunkt für uns unvorstellbar.
Trotz der Medikamente war ich müde und so kaputt, dass ich mich krankschreiben lassen musste. Nach zwei Wochen zu Hause versuchte ich, wieder zur Arbeit zu gehen – ohne Erfolg. Nach vier Wochen ging es mir immer schlechter. Ich bemerkte kleine Bläschen im Mund, die trotz Antiallergikum immer größer wurden. Nach und nach bekam ich zusätzlich Probleme mit den Augen und der Nase, ich konnte nichts mehr essen und auch nicht mehr auf die Toilette gehen. Die Bläschen wurden immer größer. Ärzte diagnostizierten mir schließlich das Steven-Johnson-Syndrom, eine schwerwiegende allergische Reaktion.
Was ist wirklich wichtig?
Gut ein Jahr brauchte ich, um mich von der allergischen Reaktion zu erholen, mich meiner Angst vor Tabletten zu stellen und die äußerlichen sowie innerlichen Wunden heilen zu lassen. Gemeinsam mit Florian, meiner Familie und Freunden gelang mir das. Ich machte eine Verhaltenstherapie, Physiotherapie und eine Rehabilitation, um meine Ängste zu beseitigen und zu Kräften zu kommen. Ich informierte mich über meine Erkrankung, probierte verschiedene Sportarten aus, achtete auf meine Ernährung. Ich stellte mein ganzes Leben auf den Kopf und fragte mich, worauf es für mich am meisten ankommt.
Besonders durch diese Erfahrung hegte ich den Wunsch, wieder in der Nähe meiner Familie und Freunde zu sein. Ich merkte immer öfter, wie ich nach einem Besuch bei ihnen vor Energie und Motivation nur so strotzte. Da mein Mann gebürtiger Hamburger ist, standen bei uns viele Gespräche an. Wir schauten, wie wir uns unser Leben und unsere Beziehung vorstellen. Schließlich fällten wir einen Entschluss: Wir ziehen auf ein Dorf bei Magdeburg.
Mittlerweile haben wir unseren Worten auch Taten folgen lassen. Ich suchte in Magdeburg einen neuen Job, wir kündigten unsere Wohnung und planten unseren Umzug. Dabei unterstützten uns neben unseren Familien auch meine Hamburger Ärzte, die für die Kollegen in Magdeburg viele Informationen zusammenstellten. Wir hoffen, dass wir bald mit dem Einrichten unserer neuen Wohnung beginnen können. Dann wollen wir uns ganz unserer frischen Familie widmen.
Von Ricarda Döpke, Mitglied im Ausschuss junger Rheumatiker